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Karbonsierung radikal – den Nachbrenner fürs richtige Mundgefühl zünden
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Sage noch einer, die Amis machten es mal wieder einfacher. Sagen aber viele: Sie machen’s mal wieder schneller. Wenn bei Bier von Karbonisierung die Rede ist, also sein Stöffchen mit Kohlensäure zu versetzen, damit es bei manchen Werbefiguren prickelt wie „in meinem Bauch-na-a-bel-ll“, schwirren die Begriffe nur so durcheinander: Karbonisierung, Spundung, Zwangsspundung, Zwangskarbonisierung, Aufzuckern, Speisen, Forced Carbonation, Burst Carbonation und richtig abgefahren: „Crank and Shake“. Aber genau hierum geht es – und um die kleinen Unterschiede.

Es ist ganz einfach, einzig und allein: Wie erzeugt man dieses wunderbare Prickeln von Bier auf der Zunge? Der Kenner nennt das Rezens. Natürlich darf um die Notwendigkeit dieser Rezens gestritten werden wie um die einen Fisch bis zur Unschmeckbarkeit in Panade einzupacken oder Bier möglichst brühig auszuschenken. In diesem Sinne sind sich seit Asterix und Obelix Festlandeuropäer und Briten bis heute nicht näher gekommen. Stubby Hobbs jedenfalls packt gerne ein wenig mehr CO₂ auf seine IPAs drauf. Eines wie das Holy Moly, erst recht sogenannte Session IPAs wie das Ola Kala, wirken dadurch frischer und zupackender.

Druck und Zwang

Karbonisiert man ein Getränk, fügt man ihm Kohlendioxid hinzu. Da dies zuweilen quälend lange dauern kann, beschleunigten ungeduldige Menschen irgendwann diesen Vorgang. Seitdem nennt man das beschleunigte Karbonisierung oder „forced carbonation“ wie man in us-amerikanischen Brauerkreisen sagt.

Der Vorgang selbst ist simpler als seine Begriffe: Man drückt einfach CO ins Fass. Und zwar permanent. Und das ist wichtig, weil sich das Gas im Bier löst und der Druck ohne Nachdrücken absinken würde. Ziel ist es, Kohlendioxid in Lösung zu zwingen und so das Bier „aufzusprudeln“, wie man das in Zeiten von Sodastream fachlich nicht ganz korrekt nennen würde. Der Grund ist aber auch ein einfacher: die Erhöhung des Erfrischungseffekts durch die Stimulation der Geschmacksinneszellen beim Trinken.

Und hurra: Während die Flaschenkonditionierung Wochen dauern kann, kennt die beschleunigte Karbonisierung sogar mehrere Verfahren, um den Turbolader zu zünden, gar über Nacht. Ist das nicht gut?

Set and forget

Die einfachste Methode ist es, den Druck auf den Ausschankdruck einzustellen und die ganze Geschichte mit diesen Drücken, Druckabfall, Magendrücken, Druck ablassen und aufstoßen zu vergessen. Gashahn zu, fertig.

„Set and forget“ nennt der Amerikaner diese Methode für die ruhigen Naturen unter den Heimbrauern. Leider ist sie immer noch sehr abhängig von Faktoren wie Stammwürze, Temperatur und der physikalischen Eigenschaft, dass Gas sich unter Druck in Flüssigkeiten bindet. So kann es einfach passieren, dass ein Bier auf diese Weise weniger stark karbonisiert, weil der Gasdruck sinkt, die Temperatur unter konstantem Druck steigt.

Ethnologisch ist diese Methode sicher Einwanderern aus Merry Good Old England zu verdanken. Mit Galliern, siehe oben, wäre das nicht passiert.

Burst Carbonation: Mehr PS aufs Fass

Man kann natürlich den Turbolader zünden und den Druck richtig manipulieren. Der Amerikaner nennt dieses Prinzip „Burst Carbonation“, und es ist wohl die einfachste Art mehr PS aufs Fass zu bringen. Bei dieser Art von Zwangskarbonisierung wird der Regler an der Gasflasche für eine gewisse Zeit höher als normal gestellt und das Kohlendioxid unter höherem Druck als der spätere Enddruck in das Jungbier gepresst. Das Gas reagiert dabei zu etwa 0,2 % mit Wasser zu Kohlensäure, der größte Teil löst sich aber einfach als Gas im Bier. Wie schnell dieses geschieht, hängt vom Druck und der Temperatur ab. Danach wird das Fass wieder auf den normalen Ausschankdruck eingestellt, was gewöhnlich 1 Bar meint.

Die entsprechenden Werte rechnen dem Nano-Brauer Programme wie Kleiner Brauhelfer oder Spezialseiten wie bei Maische Malz und Mehr (MMuM) aus. Sehr hilfreich ist auch der Schankanlagen-Spundungsdruck für Fässer. Bis der gewünschte Druck soweit ist, empfiehlt sich ein Fassmanometer zur Kontrolle, und es braucht immer noch Geduld. Entweder man lässt den Gashahn offen oder man drückt von Zeit zu Zeit Gas nach, weil sich Gas im Bier gebunden hat und der Druck dadurch abgesunken ist.

Wer bei diesem Verfahren allzu forsch vorgehen will, den bremsen Überdruckventil und Druckminderer der Gasflasche aus: In der Regel ist bei 3 Bar Schluss. Das „Prickeln in mein Bauchnabel“ meint dann doch die höheren Drücke für Weizen in der Industrie oder eine gezielte Flaschengärung. Für eine mittelstarke Karbonisierung aber, vergleichbar einem Export, ist das Zünden des Nachbrenners allemal kommod.

Blas, weißer Wal

Entscheidend ist: Mit der Überdruckkarbonisierung, wie man Burst Cabonation auch nennen könnte, lässt sich die Zeit, die für die Karbonisierung eines Fasses benötigt wird, von manchmal mehreren Wochen auf unter einen Tag erheblich verkürzen. Es ist ein wichtiger Baustein mit dem der Brauer die letzte Phase der Reifung steuert – und nicht umgekehrt. Stubby Hobbs karbonisiert zum Beispiel gerne über Nacht, reduziert den Druck am Morgen und schenkt am Nachmittag aus. A und O ist dabei ein dichter Gasschlauch.

Allgemein empfiehlt es sich das Fass ein bis zwei Tage vor dem Grillfest oder dem Umtrunk mit 2–3 Bar zu „bursten“ und es dann unter Servierdruck bei 1 Bar zu leeren.

In welcher Zeit ein Bier welchen Druck – gleichbleibend nach Wegnahme von Hilfsmitteln – annimmt, ist als grobe Schätzung für einen 20-Liter-Sud in folgender Tabelle beschrieben. Bei kleineren oder größeren Suden werden sich diese Zeiten entsprechend verlängern oder verkürzen, zumal noch weitere Faktoren hineinspielen. Ein geringer Anteil natürlichen Drucks durch die Nachgärung addiert sich hinzu, 3,5 Bar dürften in der Praxis indes nie erreicht werden. Vorher bläst „Moby Dick“ ab, so heißt das Überdruckventil an der Gasflasche bei Stubby Hobbs. Meist tut es das bei 3,2 Bar. Braukater Malte und Stubby erschrecken da immer sehr.

Druckzunahme bei Überdruckkarbonisierung in Zeitintervallen per 20l-Sud
12 Stunden 18 Stunden 24 Stunden
2,0 Bar 2,75 Bar 3,5 Bar

Ist es müßig zu sagen, dass dieses Verfahren bei Materialfehlern am Keg ins Auge gehen kann? Und dass dies dann etwas mächtiger als eine Bierflasche in der Sommerhitze bei 60°C im Auto ist? Die Sicherheitszeichen am Fass geben Aufschluss, ob das Fass den gewünschten Druck aushält. Viele Händler prüfen gebrauchte Fässer zudem vor dem Verkauf und weisen dies aus. Wen das immer noch nicht beruhigt: Für Nicht-Jünger der Versicherungsbranche sollte es reichen zu wissen, dass bei Gasflaschen Druckminderer und Ventile bei Drücken über 3 bar auch dem linkischsten Handwerker zur Seite springen und die Kegs von CocaCola und Pepsi für Drücke bis 7 Bar ausgelegt sind.

Unterdessen offerieren einschlägige Shops dem Kleinstbrauer sogar Druckminderer für satte 7 bar. Die sind ursprünglich zwar für Mineralwasser gedacht, aber was soll’s. Zur besseren Unterscheidung, oder weil das Wort Premium abgegriffen ist, nennt sich das dann Hauptdruckminderer und es gibt sie sogar in Kombination mit der Variante 3 bar. Da werden sie als Zwischendruckminderer für konstanteren Druck der Zapfanlagen eingesetzt. Ach deutsche Sprache, du und deine Komposita.

Bierschaum

Kräftige, große Schaumblasen. Je kleiner desto feiner das Bier. Da geht noch was…

Es ist auch wichtig, daran zu denken, alle Gasarmaturen auf Lecks zu überprüfen, wenn man beginnt den Druck zu erhöhen. Höherer Druck gleich mehr Belastung. So wird der Gaszuleitungsschlauch in der Nähe der Schellen besonders gerne undicht und hat schon unbemerkt manche Gasflasche binnen Stunden entleert. Stubby Hobbs kann ein Lied davon singen. Drum prüfe mit Schaumwasser wer kräftig Druck ausübt! Konstruktionsbedingt dünner als andere Schläuche, ist die Gasleitung nicht sonderlich robust. Weiters sind die Fittinge am Fass anfällig für Leckagen. Gute Händler wie Candirect in Duisburg prüfen diese aber vor dem Versand und tauschen sie gegebenenfalls gegen neue aus.

Pro

    • + deutlich schnellere Karbonisierung
    • + im Keg aber auch außerhalb möglich
    • + schneller als „Set-and-Forget-Methode“

Contra

    • – abhängig vom Druck, höhere Gefahr von Leckagen
    • – Risiko übermäßiger Karbonisierung ist höher
    • – langsamer als die „Tritt- und Wippmethode“

Getreten und geschüttelt

Feste kommen wie sie kommen und das manchmal sehr schnell. Auch die schnelle Überdruckkarbonisierung kommt dann ihre Grenzen. Den ultimativen Nachbrenner im Kleinbrauerwesen zündet sodann die Tritt- und Wippmethode. Im Amerikanischen klingt das natürlich einmal mehr mächtiger: Crank and Shrank heißt es da.

Man erhöht wie gehabt den Druck am den CO₂-Regler und wippt und tritt das Fass mit dem Fuss quer liegend hin und her. Durch Schütteln oder Wippen wird das Kohlendioxid schneller vom Bier aufgenommen. Man kann es sogar hören, wie das CO durch den Regler zischt und ins Bier sprudelt. Das gurgelt richtig, während man das Fass schaukelt.

Abgesehen davon ist dies möglicherweise die riskanteste aller Methoden der Zwangskarbonisierung. Es ist nicht schwer zu erraten, warum. Leckagen sind hier sehr wahrscheinlich, die Gefahr einer Überkarbonisierung ist hoch. Ein Rückschlagventil am Gasschlauch ist hier spätestens Pflicht. Es verhindert, dass das Bier aus dem Keg in den Druckminderer gelangt und alles, aber auch alles – Druckminderer, Schläche, Gasflasche – verklebt. Das passiert bevorzugt dann, wenn dieCO₂-Flasche leer ist und und damit einen drucklosen Eindruck macht, aber der Getränkebehälter unter Druck steht, diesen Umstand nutzt und hier dann ausnahmsweise einmal gegen die Gasflasche gewinnt, sogar dann wenn der Druck ausgeglichen ist, es also 1:1 nach Verlängerung steht – so von Druck zu Druck gesprochen.

Wer es sorgfältig und richtig macht, hat in weniger als einer Stunde trinkbares Bier. Natürlich wird dieses geschüttelte Bier, wenn nicht ausreichend geklärt, trüb und überschäumend vor Freude sein. Wer ihm jetzt aber 2 bis 3 Stunden Zeit gibt, hat diese wirklich gewonnen und kann das Wochenende länger ohne Bastelei vor Publikum genießen.